Der Mainfränkische Expressionismus
Hans-Peter Porzner - Burkart Benkert
Hans-Peter Porzner

 

Burkart Benkert

 

 

Einige lockere Bemerkungen

 

 

1
Der „Mainfränkische Expressionismus“ ist eine emotionale Kategorie. Es geht um Empathie.

2
Der „Mainfränkische Expressionismus“ ist nicht auf Mainfranken allein bezogen. Er zeichnet sich durch Internationalität aus.

3
Landschaft ist insofern universal, weil es auf der ganzen Welt Landschaften gibt. Wir haben es bei diesen Kunstwerken nicht mit Tautologien zu tun: Weil sie Landschaften abbilden, geht es um Landschaften. Es geht um die „Darstellung“ von Landschaftsbildern.

4
Kann das Landschaftsbild eine größere Reichweite einfordern als die gesprochene Sprache? Es sind Werte der Empathie, der Sorge und der Teilnahme. Es geht um die „Darstellung“ von Landschaftsbildern.

5
„Die Landschaft in der Kunst“ als gleich bleibender Faktor. Ist die gemalte Landschaft eines Barockkünstlers höherwertig einzuordnen als die Landschaft auf diesen Bildern, diesen Fotos? Es geht um die „Darstellung“ von Landschaftsbildern.

6
Welche Funktionen soll die moderne Kunst an sich hervorkehren, um als Kunst auch anerkannt werden zu können? Geht das Thema „Mainfränkischer Expressionismus“ nicht genau in ein Defizit hinein, um mehr als nur „Funktion“ sein zu können?

7
Aus Hans-Peter Porzners Propädeutik zu einer Kritik des Imaginären: „Theodor W. Adorno hat vom Russischen und Amerikanischen gesprochen. Man könnte heute auch Künstler finden, die ‚Botticelli‘ ins Chinesische übersetzen oder die ‚Mickey-Mouse‘ ins Japanische (Takashi Murakami), Paul Klee ins Mainfränkische usw. ... aber man beachte auch den Würzburger Stil („Würzburger Gout“, ab 1740), der eine gewisse Nüchternheit bringt; später spricht man von der „Heiterkeit des Mainfränkischen.“

8
Fotografie und Malerei zum Thema Landschaft. Was kann heute noch Landschaft sein, die für Kunst interessant ist, d.h. künstlerisch umgesetzt werden kann? Kann sie einen unmittelbaren Zugang zur Natur eröffnen, emotionale Regungen hervorrufen? Hans-Peter Porzner und Burkart Benkert kreisen um dieses Thema.

9
Burkart Benkert versieht seit einiger Zeit seine Landschaftsfotos mit den exakten geographischen Daten des Kamerastandortes. Der/die Betrachter:in erhält so die Möglichkeit, sich an Ort und Stelle ein eigenes Bild zu machen, direkt in die Situation hinein zu gehen.

10
Was sind das für Räume, in die wir hier verstrickt werden? Eine Katze beispielsweise ist links oben im Mond zu sehen. Albert Einstein präsentiert vor einem Apfelbaum einen Apfel... Wie sind diese Montagen zu verstehen? Sind es Anleihen bei René Magritte, bei Max Ernst? Aber was soll das 2022?

Finden Sie es selbst heraus!

Dieser Text wurde von Hans-Peter Porzner am 14. Mai 2022 in Dortmund um 02:07 fertig gestellt.
Dortmund hat die geographischen Daten:
51° 30′ 51″ N,  7° 27′ 50″ E

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Zur Malerei Hans-Peter Porzners

In Porzners Bildern überlagern sich verschiedene Zeitebenen in Form von Schichtungen. Jede neue Schichtung verändert die vorangehende, und es erscheint so, als würde jede neu aufgetragene Schicht wiederum der vorangehenden eine andere Bedeutung zufügen. ...
Blau und Schwarz sind vielfach bestimmende Farbakzente seiner Bilder, die assoziativ an die Dunkelheit der Nacht und den Anfang der Schöpfung erinnern. Wo und wann fängt menschliches Leben an, wo liegen die Ursprünge von Kunst? Seine Bilder gründen auf kargen unbelebten und unbestimmten Gebirgslandschaften, die Überlagert werden von Sternen, Spermien und Eizellen als mögliche Keimzellen jeglichen Lebens. In verschnörkelter und in Geheimschrift abgesetzte Namen mythologischer Gottheiten und diesen zugeordneten Prinzipien, so das Apollinische, verweisen auf Denkfiguren, über die sich die Menschen die Erscheinungen der Welt angeeignet und erklärt haben. Gleichsam appliziert sind wiederum abstrakte, amorphe und geometrische Formen. Vielfach dominieren in sich geschlossene Formen wie Schlaufen, Schleifen und Kreise. Als bekanntes Formenrepertoire erinnern sie im Sinne einer Zusammenfassung an die klassische Moderne und ihre nach 1945 anhebende weltweite Erfolgsgeschichte.

Bei Porzner bleiben die die Gestalt konstruierenden Formen und Farben jenseits der gegenständlichen Bezeichnung in ihrer Eigenwertigkeit erkennbar, so dass sowohl eine gegenständliche als auch eine abstrakte Lesart möglich ist. Porzner, der sozusagen aus einer Überschau die aufeinander folgenden und nebeneinander stehenden Ismen und Stile reflektiert, findet ebenso zu formelhaften Verkürzungen, die ... gegenständlich oder als rein abstrakte Formabbreviatur zu lesen sind. In der Ausdeutung lässt er Raum entstehen, oftmals gewinnt eine Form erst bei längerer Betrachtung ihre Gestalt, wie die charakteristischen Ohren der Mickey-Mouse oder des Teddybären, die über eine Bergspitze ragen oder der einem anderen Gemälde eingeschriebene Wolf. Porzner belässt eine wahrnehmbare Kluft zwischen den sich überlagernden Schichtungen, was auch als Abstand zwischen den Stil- und Zeitebenen gesehen werden kann. … Die Zusammenführung scheinbar heterogener, übereinander geschichteter Formen kennzeichnet in weit stärkerem Maß die Bilder Porzners, die in einem Zeitraum von bis zu vierzehn Jahren entstanden sind.
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Bereits in seiner ersten großen Ausstellung „Brillanten im Mühlsteingetriebe" gestaltete, formulierte und reflektierte er 1988 mit 270 Arbeiten erstmals aus der Sicht des Künstlers in umfassender Weise zentrale Sachverhalte für die moderne und zeitgenössische Kunst des 20. Jahrhunderts. Zu nennen sind die Bezüglichkeit von Kunst auf vorhergehende und ältere künstlerische Äußerungen, die Auffächerung von Kunst in Spezialgebiete und formale Probleme sowie    Verwertungsstrategien des Kunstbetriebs. … Mit seiner Malerei verschärft Porzner ganz erheblich, was er ab 1988 ausgearbeitet und in den Kunstbetrieb mit dem Terminus „Kunst und Alltag" eingeführt hat. Diese „Paradoxien des Alltags" erweisen sich auf einmal als künstlerisch aufgeladen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts arbeitet er in seinen Bildern Möglichkeiten aus, welche Gestalt Kunst annehmen könnte, die die Epoche der Moderne nicht ausblendet bzw. sich ihren Errungenschaften zitierend oder in Form anderer Aneignungen bedient, sondern die noch nicht vollzogenen und möglicherweise übersehenen Entwicklungsschritte auslotet. Porzners Blick auf zurückliegende Epochen richtet sich in seiner Malerei vor allem auf die aus heutiger Sicht sogenannte klassische Moderne. Sie ist für ihn eine durch den Faschismus gewaltsam unterbrochene Moderne. Werkprozesse kamen durch die Emigration und die Ermordung verfemter Künstler zum Stillstand, und doch sind in diesen Jahren Ansätze entwickelt worden, die in ihrer Modernität äußerst fruchtbar waren und weit über den deutschen Kulturraum hinausweisen. Porzner stellt sich die Frage, wie sich die Moderne ohne diesen historischen Einschnitt weiter entwickelt hätte und inwieweit eine malerische Reflexion aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts noch möglich ist. In ihrem Drang nach Erneuerung und in der Suche nach Anschluss hat die Kunst nach 1945 für Porzner wichtige Schritte ausgelassen. ...
Die schrittweise Ablösung von seinem Museumsprojekt Museum für Moderne Kunst München ist auch in einigen Gemälden thematisiert. Der vom Künstler nun auf weißem Grund (Schneelandschaften) geschriebene Name des Museums und die Anschrift „Museumsplatz 5" sind mit groben Strichen durchgestrichen, so als würde die Existenz des Museumsdirektors, aber nicht die des Malers ausgelöscht. Einladungskarten, die im Rahmen von Projekten des MfMK München versandt wurden, sind teilweise übermalt, gelocht, auf Holz montiert und als Reflexion der eigenen Vergangenheit in die neuen Bilder eingestellt und integriert. … Ausgehend von der Erkenntnis, dass nur eine rückschauende Betrachtung mögliche neue Wege für die Kunst weisen kann, gründen diese auf der Rekapitulation dessen, was einzelne Künstler in der Moderne geleistet haben. Aus der Perspektive der zeitgenössischen Kunst werden sie sozusagen im Rückblick erfasst. Dieser Rückblick ist aber zugleich ein forschender und suchender Vorblick.

Bereits in seiner ersten Werkphase Kunst und Alltag (1981-88) konzentriert er sich u. a. auf die Metamorphose eines Alltagsgegenstandes in Kunst. Mit der Rückkehr zur Malerei ab 1998 entfaltet er thematisch, formal und inhaltlich auch zur Epoche der klassischen Moderne ein komplexes Bezugsfeld der Irritation. Damit spitzt sich in der Konsequenz auch die Frage nach der „Kunst heute" zu.


Auszüge aus einem Beitrag von Dr. Beate Reese in: HANS-PETER PORZNER, DIE ARCHÄOLOGIE DES BLICKES: WERNER GILLES, herausgegeben von Burkhard Leismann aus Anlass der Ausstellung
HANS-PETER PORZNER UND WERNER GILLES IM DIALOG, 2012.